

«Kirby Air Riders»: Chaos in Perfektion
«Kirby Air Riders» ist purer, chaotischer Multiplayer-Spass. Ganz ohne Battlepasses oder sonstigen Live-Service-Bullshit. Um das Game zu geniessen, musst du dich jedoch mit dem ungewöhnlichen Spielprinzip und der minimalistischen Steuerung anfreunden.
Fast hätte ich «Kirby Air Riders» aufgegeben. Der erste Eindruck überfordert mich masslos. Bunte Kirby-Charaktere fahren auf komischen Maschinen durch eine futuristische Stadt und bekriegen sich. Mein viel (!) zu schnelles Gefährt schlittert ständig durch riesige Explosionen und bildschirmfüllende Partikeleffekte. Chaos. Anarchie. Reizüberflutung.
Was zum Teufel ist dieses Spiel?!
Aber so schnell werfe ich das Handtuch nicht – Kirby wird mich nicht in die Knie zwingen, verdammt. In meinem Kopf läuft die Rocky-Trainingsmontagemusik. Ich spiele mich mehrmals durch alle Tutorials, absolviere alle Singleplayer-Challenges, übe fortgeschrittene Tricks und Kniffe. Immer und immer wieder, bis meine Daumen wund sind.
Und plötzlich macht es Klick. Ich sehe die Matrix – das System hinter dem Chaos. Ich verstehe die Vision des legendären Game-Directors Masahiro Sakurai («Super Smash Bros.»). Kurzum: Ich verliebe mich in «Kirby Air Riders».
Eine Steuerung mit nur zwei Knöpfen
«Kirby Air Riders» ist auf den ersten Blick ein einfacher Fun Racer. Der offenbart sich schnell als ein einzigartiges Spiel – auch bei der Steuerung.
Die Fahrzeuge geben von allein Gas. Ich steuere sie mit nur zwei Knöpfen. Besonders der «B»-Knopf kommt oft zum Einsatz. Mit diesem bremse ich, drifte um Kurven, lade den Turbo auf, sauge Gegner ein und feuere Items ab. «Y» drücke ich, um die Spezialfähigkeit meines Fahrers zu aktivieren – dies können Angriffe, defensive Fähigkeiten oder Temposchübe sein.
Die trügerisch einfache Steuerung entpuppt sich im Spielverlauf als clevere Spielmechanik, die strategisches Vorgehen verlangt. Besonders die Mehrfachbelegung des «B»-Knopfs sorgt für Zielkonflikte und zwingt mich, im Vergleich zu traditionellen Racing-Games umzudenken.
Soll ich mit einem langen Druck auf die «B»-Taste um die Kurve driften? Oder verschiesse ich lieber mit mehrfachen, kurzen Klicks Feuerbälle, um den Gegner vor mir zu treffen?

Quelle: Nintendo
Eine weitere Eigenheit der Steuerung ist das Angreifen. Rüttle ich am linken Analogstick, aktiviere ich einen Wirbelangriff. Diese Mechanik bereitet mir am Anfang die meisten Probleme. Ich kann die Attacke nicht verlässlich auslösen und steuere mein Vehikel immer wieder in Wände, statt Gegner wegzuwirbeln.
Mit zunehmender Übung geht die Rüttel-Steuerung aber in Fleisch und Blut über. Einen Feind mit dem Stick wegzuhauen, ist viel befriedigender, als dies mit einem Knopfdruck je sein könnte.

Die verschiedenen Fahrzeuge bringen eine weitere Komplexitätsebene in die Steuerung. Im Gegensatz zu einem «Mario Kart» unterscheiden sich die Boliden nicht nur marginal voneinander, sondern steuern sich radikal unterschiedlich.
Der «Panzer-Stern» ist langsam und kommt kaum um Kurven, haut dafür jedes Hindernis aus dem Weg. Mit dem «Papier-Stern» gleite ich wie ein Weltmeister, werde aber mit wenigen Angriffen zerstört. Und dann gibt es noch ganz spezielle Rennmaschinen, wie den «Pyramis-Stern». Das Gefährt gibt nicht automatisch Gas, sondern kann nur mit wiederholten Turbo-Schüben gesteuert werden.

Nein, das ist nicht «Mario Kart»
«Kirby Air Riders» bietet insgesamt drei Multiplayer-Spielmodi – zwei davon sind Rennspiel-Variationen.
In «Air Ride» rasen sechs Gegner auf rundenbasierten Strecken um die Wette. Das Streckendesign ist einfach nur irre. Dagegen wirkt «Mario Kart» richtig zahm. Ich brettere durch virtuelle Cyber-Kurse, Raumschiffe im Weltall und durch das Meer, das sich vor meinen Augen teilt, als würde Moses mitspielen.
Immer wieder werden die Strassen durch Sequenzen unterbrochen, in denen ich auf Schienen durch halsbrecherische Loopings und andere physikalisch unmögliche Abschnitte geführt werde. Das Spieltempo ist extrem hoch, ich habe keine Zeit, durchzuschnaufen oder mich zu entspannen. Das Fahrerfeld ist meist sehr nahe beieinander und bei der Zieleinfahrt entscheiden Hundertstelsekunden über Sieg oder Niederlage.

Sehr gelungen finde ich, wie mir das Spiel beim Fahren ständig etwas zu tun gibt. Kirbys kurze, prall gefüllte Strecken sind die Antithese zum oftmals leeren und breiten Open-World-Streckendesign von «Mario Kart World». Ständig muss ich driften, springen, fliegen oder Gegner weghauen. Items bekomme ich, indem ich herumlaufende Feinde einsauge und deren Fähigkeiten kopiere. So erhalte ich Schwerter, friere Mitspieler ein, bohre mich in den Boden oder rolle als riesige Kugel über die Strecke.
Sowohl im lokalen Splitscreen- als auch im Online-Multiplayer lösen die oftmals kurzen Strecken das altbekannte «nur noch eine Runde»-Spielgefühl aus. Schade nur, dass der Modus im Singleplayer schnell langweilig wird. Es fehlt ein Cup-System oder Ähnliches, um mich längerfristig zu motivieren.

Im zweiten Rennmodus «Top Ride» treten bis zu acht Fahrer gegeneinander an. Im Gegensatz zu «Air Ride» wird hier aus der Vogelperspektive gerast.
Die Miniaturstrecken erinnern mich an «Micro Machines»-Spiele, die ich auf der ersten Playstation bis zum Umfallen gezockt habe. Die Strecken sind noch kürzer als in «Air Ride». Der Drang, «nur noch eine Strecke» zu spielen, ist dementsprechend noch grösser. Aber auch hier ist es ärgerlich, dass es kaum Gründe gibt, als Solo-Spieler länger dranzubleiben.

Optisch hinterlassen die Strecken einen guten Eindruck – aber nur, solange ich in Höchstgeschwindigkeit durch sie brettere. Fahre ich langsamer oder halte mein Gefährt an, sehe ich, wie detailarm die Umgebung aussieht. Sie ist durch kantige Objekte und matschige Texturen gekennzeichnet. Die grafischen Limitationen haben aber auch etwas Gutes – das Game läuft stets flüssig mit 60 FPS.

Der Sound hingegen überzeugt in jedem Modus und auf jeder Strecke. Ich kann mich nicht erinnern, wann mich ein Game mit so vielen Ohrwürmern bombardiert hat, wie «Kirby Air Riders». Fantastisch.
«City Trial» macht süchtig
Das Herzstück von «Kirby Air Riders» ist zweifelsohne der «City Trial»-Modus. In diesem treten 16 Spieler auf einer offenen Map («Himmelsgarten») gegeneinander an. In fünf Minuten gilt es, eine möglichst gute Maschine zu finden und mich mit «Stärkungen» auszurüsten. Diese geben mir Vorteile in wichtigen Fähigkeitsbereichen wie Schnelligkeit, Wendigkeit, Flug oder Verteidigung.

Nach diesen fünf Minuten muss ich mich für eines von vier zur Auswahl stehenden Minispielen entscheiden. Einige meiner Favoriten: In der «Kirby-Schlacht» gewinnt der Fahrer, der am meisten Gegner in einer Arena killt. In «Formel Mampf» gilt es, möglichst viele herumliegende Snacks zu verspeisen. Und im «Hochsprung» und «Gleitsprung» sind Flugkünste gefragt.
Je nachdem, welche Maschine ich fahre und welche Stärkungen ich sammle, habe ich massive Vor- oder Nachteile in den Minispielen. Mit einem auf Angriff optimierten «Panzer-Stern» steigen meine Gewinnchancen in der «Kirby-Schlacht» – im «Hochsprung» bin ich mit dem schweren Brummer jedoch hoffnungslos unterlegen.

Die extreme Sammelwut macht für mich den Reiz dieses Spielmodus aus. Es ist absolut wahnsinnig, wie sehr ich meine Statistiken hochschrauben kann.
Sammle ich mit einem ohnehin schon schnellen Gefährt gezielt Schnelligkeits-Stärkungen, rase ich in Schallgeschwindigkeit über die Map. Es fühlt sich an wie Cheaten. Geil.

Für Abwechslung sorgen in der Fünf-Minuten-Phase zahlreiche Events, die das Spielgeschehen weiter aufmischen. So zum Beispiel zufällige Bosskämpfe und Mini-Rennen, in denen es haufenweise Stärkungen zu gewinnen gibt. Auch absurde Gameplay-Modifikationen wie verminderte Schwerkraft oder rutschige Böden sorgen für ein Durcheinander und bringen mich immer wieder zum Lachen. Sakurai hat das Chaos in «City Trial» perfektioniert.
Meine einzigen Kritikpunkte: Die Minispiele sind zu schnell durch. Ich gebe mir so viel Mühe, eine übermächtige Maschine zu basteln und setze sie am Schluss – je nach Minispiel – nur für ein paar Sekunden ein. Zudem bin ich überrascht, dass der Modus mit dem Himmelsgarten nur eine Map bietet. Diese ist zwar toll designt und voller Geheimnisse – etwas Abwechslung wäre jedoch wünschenswert gewesen.

Alleine die Welt erkunden
Der «Road Trip»-Modus ist die Singleplayer-Kampagne des Spiels. Die düstere Geschichte steht in krassem Kontrast zur sonst so bunten Spielwelt – typisch für die «Kirby»-Reihe. Inszeniert wird die absurde Story mit filmreif produzierten Zwischensequenzen, die an «Super Smash Bros.» erinnern. Sehr cool!

Ich wähle eine Spielfigur und fahre in insgesamt elf Welten umher. Dabei werde ich von NPCs immer wieder zu Duellen herausgefordert. Diese sind an die Spielmechaniken aus «Air Ride», «Top Ride» und «City Trial» angelehnt.
Nach und nach lerne ich so allerlei Gameplay-Feinheiten kennen. Zudem sammle ich nebenbei die aus «City Trial» bekannten Stärkungen und bastle mir im Verlauf des rund zweistündigen Story-Modus den perfekten Fahrer, der es hoffentlich mit dem Endgegner aufnehmen kann.
Was sich auf Papier langweilig und repetitiv liest, funktioniert in der Praxis hervorragend. Auch beim «Road Trip» stellt sich dieses «nur noch einmal»-Gefühl ein. Zudem glänzt der Modus mit zahlreichen Geheimnissen und Abzweigungen – um alles zu entdecken, muss ich den Modus mehrmals durchspielen.

Kein Bullshit, nur Liebe
Ich liebe das Fortschrittssystem in «Kirby Air Riders». Egal, welchen Modus ich spiele, ich werde selbst für banale Errungenschaften wie «bleibe 60 Sekunden in Führung» oder «setze deine Spezialfähigkeit 20-mal ein» belohnt. Ständig schalte ich neue Maschinen, Fahrer oder Deko-Elemente frei. Mit Letzteren kann ich sowohl meine Fahrzeuge als auch meinen virtuellen Online-Fahrausweis individualisieren.

Über In-Game-Währungen, Microtransactions und sonstigen Live-Service-Kram muss ich mir keine Sorgen machen. «Kirby Air Riders» ist ein fertiges Spiel ohne Erweiterungen. Director Sakurai erklärt im zweiten «Direct»-Video zum Spiel, wieso das so ist:
Wir haben keinen DLC geplant. Alle Inhalte sind hier. Ich habe auch nicht vor, diese Reihe fortzuführen. Alles, was ich hatte, habe ich direkt in dieses Spiel gesteckt.
Das ist mal ein Statement. Es ist erfrischend, ein Multiplayer-Game zu zocken, das mich nicht «für immer» an den Controller fesseln will. Kein Forever-Game-Bullshit. Stattdessen ein Herzensprojekt mit ganz viel Liebe.
Obwohl ich diesen Ansatz feiere, macht sich ein Hauch Traurigkeit bei mir breit. Das Spiel ist so gut, dass ich mir einfach mehr davon wünsche – besonders Solo-Inhalte in den Rennmodi und weitere Maps für den «City Trial»-Modus.
Gib nicht auf!
Zum Schluss noch eine kleine Anekdote aus einer Multiplayer-Session mit drei Kollegen. Diese habe ich nach meiner Rocky-Trainingseinheit organisiert. Es war amüsant zu sehen, wie die drei auf den ersten Kontakt mit dem Game reagieren. Schock, Verwunderung, Überforderung – genau so, wie es mir ergangen ist.

Mit zunehmender Spieldauer gingen die Meinungen in der Gruppe immer weiter auseinander – je nachdem, ob es bei ihnen «Klick» gemacht hat. Ein Kollege hat trotz Reizüberflutung Spass, der andere will sich das Game zum Launch kaufen, und der Dritte findet es – ich zitiere – «einfach total Kacke».
Klar ist: «Kirby Air Riders» wird polarisieren und nicht allen gefallen. Falls dich dieser Beitrag neugierig gemacht hat, rate ich dir, das Risiko einzugehen – hol dir das Spiel. Aber, ganz wichtig: Gib nicht auf, auch wenn du dir in den ersten paar Spielstunden immer wieder dieselbe Frage stellen wirst:
Was zum Teufel ist dieses Spiel?!
Fazit
Chaos in Perfektion
«Kirby Air Riders» ist vielleicht das chaotischste Game, das ich je gezockt habe. Der Racer glänzt durch eine minimalistische Steuerung, die mich zum Umdenken zwingt. Die Rennen auf den verrückten Strecken sind ultraschnell und machen süchtig – auch im süssen «Top Ride»-Modus aus der Vogelperspektive.
Das Herzstück des Games, «City Trial», ist Chaos in Perfektion. Es macht unheimlich viel Spass, auf dem offenen Schlachtfeld Stärkungen zu sammeln und Gegner wegzuhauen. Das Gefühl, eine extrem übermächtige Maschine zusammengebaut zu haben, die ich kaum unter Kontrolle habe, ist unbezahlbar.
Der Ansatz, auf nervigen Live-Service-Bullshit zu verzichten, ist lobenswert. Die Kehrseite dieser Entscheidung ist, dass ich mir in einigen Modi mehr Inhalte wünsche, die nie kommen werden.
Pro
- einzigartiges Spielkonzept und Steuerung
- «City Ride» ist genial
- Ohrwurm-Soundtrack
- kein DLC, keine Erweiterungen, «Kirby Air Riders» ist ein fertiges Spiel
- top Performance...
Contra
- ... aber maue Grafik
- ich will mehr – vor allem im Singleplayer und «City Trial»

Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.
Welche Filme, Serien, Bücher, Games oder Brettspiele taugen wirklich etwas? Empfehlungen aus persönlichen Erfahrungen.
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