Kuhn Schweiz AG
Hintergrund

Warum das grösste E-Auto der Welt nie laden muss

Sie nennen es den «E-Dumper», das grösste (oder zumindest schwerste) Elektrofahrzeug der Welt. Und nicht nur handelt es sich hierbei um eine Schweizer Entwicklung – der Koloss erzeugt auch noch Strom.

Industriefahrzeuge faszinieren wahrscheinlich nicht nur mich schon seit Kindheitsjahren. Sie sind gross, mächtig und meistens in allen Belangen einfach nur beeindruckend. Zum Beispiel die Muldenkipper, die auf grossen Baustellen und im Steinbruch zum Einsatz kommen. Etliche Tonnen selbst im Leergewicht, Räder so gross wie zwei Personen – wahre Kolosse eben.

Der Komatsu HD605-7 gehört sogar zu den kleineren Kippern.
Der Komatsu HD605-7 gehört sogar zu den kleineren Kippern.
Quelle: Wikipedia / Michael KR

Kein Wunder, dass es von Lego Technik und anderen Herstellern derartig monströse Maschinen auch immer wieder mal als Spielzeug gibt.

LEGO Liebherr Bagger R 9800 (42100, LEGO Technic)
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So eindrucksvoll solche gewaltigen Fahrzeuge auch sein mögen, sie sind alles andere als umweltfreundlich – zumindest meistens. Denn seit einigen Jahren fährt in der Schweiz ein Umbau eines herkömmlichen Komatsu HD605-7, der rein elektrisch betrieben wird. Dieses Gefährt bewegt sich nicht nur CO₂-neutral, es generiert sogar mehr Strom, als es verbraucht. Doch wie kam es überhaupt dazu?

Eine Schnapsidee wird Realität

Entstanden ist der «E-Dumper» aus einer Kooperation der Kuhn Schweiz AG, der Lithium System GmbH und der Ostschweizer Fachhochschule. Im Blogbeitrag von Lithium System wird das Projekt liebevoll als «Stammtisch-Idee» beschrieben. Die Frage: Was, wenn aus dem «lärmigen und rauchenden Ungetüm» eine strombetriebene Höchstleistungsmaschine wird? Kurzerhand wird die «Arbeitsgemeinschaft E-Dumper» geformt und die Berechnungen beginnen.

Es werden Geländedaten gesammelt, der potenzielle Verbrauch simuliert und Pläne erstellt. Dabei muss das Team diverse unvorhergesehene Hürden überwinden. Im Chassis-Umbau müssen beispielsweise ganze vier Elektrobatterien mit einer gesamten Kapazität von 710 Kilowattstunden Platz finden. Das entspricht einer Kapazität von mehr als neun ID.7 von Volkswagen, bei einem Gewicht von acht Tonnen.

Auch muss eine Spezialanfertigung der Mulde her. Diese werden nämlich normalerweise durch die Abgase des Motors beheizt, um ein Ankleben des Transportguts zu vermeiden. Mit dem «Lynx» – so nennt das Team das Giga-Elektrofahrzeug – ist das natürlich keine Option.

Selbst die Mulde ist beim E-Dumper eine Sonderanfertigung.
Selbst die Mulde ist beim E-Dumper eine Sonderanfertigung.
Quelle: Ostschweizer Fachhochschule

Grob drei Jahre dauerte die Entwicklung und Umsetzung des Projekts. Seit Anfang 2018 ist das Gefährt im bernischen Jura bei der Zementfabrik Vigier Ciment für den Abtransport von Gestein im Einsatz. Die Zahlen sind schier unvorstellbar: ein Synchron-Elektromotor mit einer Dauerleistung von 634 kW respektive 862 PS, bis zu 12 000 Nm Drehmoment, 58 Tonnen im Leergewicht, stattliche 123 Tonnen bei voller Beladung. Und es wird noch besser.

Unendlich Strom dank Rekuperation

Ein herkömmlicher Muldenkipper dieser Grösse verbraucht laut Kuhn pro Jahr 50 000 bis 100 000 Liter Diesel und stösst 131 bis 262 Tonnen CO₂ aus. Nicht nur fällt das beim «E-Dumper» weg, hier wird bei der Verwendung sogar Strom produziert.

Mit voller Ladung verliert der E-Dumper keinen Strom – im Gegenteil!
Mit voller Ladung verliert der E-Dumper keinen Strom – im Gegenteil!
Quelle: Lithium System GmbH

Denn der Materialabbau und die Beladung des Kippers passiert höher als die Entladung. Wer sich mit Elektrofahrzeugen oder -motoren auskennt, ahnt jetzt schon, worauf ich hinaus will. Bei der Talfahrt ist der grüne Koloss mehr als doppelt so schwer wie beim Aufstieg. Und bei einem Elektromotor ist Bremsen das genaue Gegenteil von Beschleunigen. Statt Energie zu verbrauchen, um die Räder zu drehen, kann durch den Widerstand beim Bremsen Energie zurückgewonnen werden. Ganz ähnlich wie bei einem Windrad oder dem Dynamo an deinem Velo. Dieser Prozess nennt sich Rekuperation.

Nie aufladen dank Rekuperation.
Nie aufladen dank Rekuperation.
Quelle: Ostschweizer Fachhochschule

So kann der «E-Dumper» bei der Talfahrt tatsächlich mehr Energie erzeugen, als er für die Bergfahrt benötigt. Und nicht zu wenig. Pro Jahr werden ganze 77 Megawattstunden an Strom rekuperiert. Laut Bundesamt für Energie verbraucht ein Haushalt von vier Personen durchschnittlich 4048 Kilowattstunden im Jahr. Mit der «gewonnenen» Energie vom «Lynx» könnten also fast 20 Haushalte ein Jahr mit Strom versorgt werden.

Ein Koloss schreibt Geschichte

Unterm Strich kann sich das gigantische E-Auto gleich mit mehreren Rekordtiteln schmücken. Der «E-Dumper» ist das grösste und stärkste batteriebetriebene Elektro-Radfahrzeug der Welt. Verbaut ist die grösste jemals für ein Elektrofahrzeug hergestellte Batterie und noch nie zuvor konnte bei einem einzelnen Elektrofahrzeug so viel CO₂ eingespart werden.

All das hat dazu beigetragen, dass diese Schweizer Maschine einen Platz im Guinness-Buch der Rekorde 2022 erhalten hat.

Der E-Dumper lässt seinen dieselbetriebenen Bruder ganz schön alt aussehen.
Der E-Dumper lässt seinen dieselbetriebenen Bruder ganz schön alt aussehen.
Quelle: Screenshot / Lythium System GmbH

Bisher ist der grüne Muldenkipper ein Einzelstück. Zwar hat das Fahrzeug bereits ordentlich Wellen geschlagen – etwa an der Baumaschinen- und Bergbaumesse in München, wo auch Liebherr einen elektrifizierten Muldenkipper präsentiert hat. Auch Hitachi hat ein ähnliches Projekt in der Pipeline. Suncar, ein Spin-Off der ETH Zürich, ist ebenfalls aktiv im Geschäft elektrischer Baumaschinen.

Doch der einzige voll einsatzfähige «E-Dumper» der Welt – und damit das grösste Elektrofahrzeug überhaupt – bleibt eine Schweizer Pionierleistung.

Titelbild: Kuhn Schweiz AG

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Praktisch seit ich denken kann fasziniert mich alles, was Tasten, Displays und Lautsprecher hat. Als Journalist mit Fokus auf Technik und Gesellschaft schaffe ich Ordnung im Dschungel aus Tech-Jargon und unübersichtlichen Spec-Sheets.

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