
Hintergrund
Anime statt Hollywood: Wie Japan das Erzählen neu definiert
von Luca Fontana

Die Redaktion ist sich selten einig – und bei Filmen schon gar nicht. Trotzdem haben wir unsere Favoriten 2025 zusammengekratzt. Viel Spass damit.
2025 hat mich filmisch an meine Grenzen gebracht. Kaum hatte ich einen Lieblingsfilm gekürt, kam der nächste ins Kino oder auf einen Streaming-Dienst und hat mich wieder über den Haufen geworfen. Die Redaktion? Noch schlimmer. Von «Meisterwerk!» bis «Wie konntet ihr das mögen?!» war alles dabei.
Kurz: Wir sind ein chaotischer, aber ehrlicher Haufen mit sehr starken Meinungen und noch stärkerer Popcorn-Abhängigkeit. Hier also – ohne Anspruch auf Vernunft oder Objektivität – die liebsten 2025er Filme unserer Redaktion.
Anime ist längst kein Nischenphänomen mehr – und «Demon Slayer: Infinity Castle» zeigt eindrücklich, warum. Der Film setzt unmittelbar nach der finalen Staffel der Serie an und wirft Tanjiro, die Dämonenjäger und die Säulen in das titelgebende Infinity Castle: ein sich ständig neu formendes Labyrinth, das alle Regeln von Raum und Realität aushebelt. Dort beginnt der letzte, alles entscheidende Kampf gegen Dämonenfürst Muzan.
Wie so oft bei «Demon Slayer» ist aber weniger das Was entscheidend als das Wie. Ufotable demonstriert einmal mehr, warum das Studio zur absoluten Weltspitze gehört: Die Verschmelzung aus 2D-Animation, 3D-Räumen und digitalen Kamerafahrten erzeugt Bilder von fast surrealer Schönheit. Das Infinity Castle wirkt wie eine Anime-Version der «Mirror Dimension» aus «Doctor Strange» – nur wilder, farbiger und kompromissloser.
Doch bei aller visuellen Wucht vergisst der Film nie seine emotionale Basis. Er nimmt sich Zeit für die Tragödien hinter den Dämonen und verleiht selbst den brutalsten Kämpfen Menschlichkeit. Bombastisch, brutal und überraschend mitfühlend – für mich das eindrücklichste Kinoerlebnis 2025.
Wo: Noch nicht zum Streamen verfügbar
Ich hatte nie von diesem Film gehört, bis er in meinem Netflix-Feed auftauchte. Ohne Erwartungen schaute ich ihn direkt an und wurde umgehauen. Die Handlung ist ein fiktives Gedankenspiel: An einem ganz gewöhnlichen Tag taucht über dem Pazifik eine Atomrakete mit Kurs auf die USA auf. 19 Minuten bleiben bis zum Einschlag. Was jetzt?
Gespannt und entsetzt verfolge ich, wie Protokolle zur Reaktion und Abwehr aktiviert werden und versagen. Wie Einzelpersonen völlig unvorbereitet Entscheidungen treffen müssen, die das Schicksal des gesamten Planeten beeinflussen können. Ich bange mit, kann kaum atmen – und bin einfach nur froh, Redakteurin bei Galaxus ohne Verantwortung über Leben und Tod zu sein.
Am Ende fühle ich mich leer, weil sich das Szenario gar nicht so unrealistisch anfühlt. Mir wird bewusst: Vielleicht liegen zwischen Alltag und Atomkrieg wirklich nur ein paar Minuten. Dank dieser Erkenntnis hat mich schon lange kein Film mehr so erreicht.
Wo: Netflix
Diese Story kennen wir alle: ein aus Leichenteilen zusammengeflicktes Monster rennt durch die Gegend und ermordet Leute.
Die Neuverfilmung von Guillermo del Toro zeichnet ein anderes Bild. Nicht das Monster ist das Monster, sondern der Schöpfer hinter dem Monster ist das Monster. Der Wissenschaftler Victor Frankenstein ist so besessen davon, den Tod zu überlisten, dass er völlig übersieht, was für ein sensibles Wesen er da geschaffen hat. Stattdessen sperrt er seine Schöpfung in den Keller und legt ihr Ketten an.
Heutzutage würde man wohl von einem Kindheitstrauma sprechen. Und ohne hier gross psychologisieren zu wollen – genau das mag ich an dem Film: die Message dahinter. Nicht immer ist alles so, wie es auf den ersten Blick scheint. Nur weil jemand «böse» aussieht oder sich vielleicht mal dumm anstellt, ist er oder sie nicht gleich minderwertig.
Es braucht Geduld und Mut, einen Menschen – oder auch einen Untoten – als das zu sehen, was er ist: ein Wesen, das Narben mit sich herumträgt. Und schliesslich bleibt einem im Leben ja sowieso nichts anderes übrig, als nach vorne zu sehen.
Wo: Netflix
«Anniversary» – im Original «The Change» – ist für mich der stärkste Film des Jahres 2025, weil er etwas schafft, woran viele aktuelle Filme scheitern: Er denkt das Private und das Politische nicht getrennt, sondern lässt beides unaufhaltsam ineinanderkrachen.
Ausgangspunkt ist ein eigentlich harmloser Anlass – der 25. Hochzeitstag von Ellen, einer progressiven Politikprofessorin, und Paul, einem erfolgreichen Restaurantbesitzer. Doch dann tritt Liz auf die Bildfläche, eine ehemalige Studentin von Ellen, politisch rechts verortet – und nun ausgerechnet die neue Partnerin von Ellens Sohn Josh. Mit ihr schleicht sich etwas in dieses Haus, das man nicht mehr kontrollieren kann: eine autoritäre Bewegung. Was als familiäre Reibung beginnt, kippt in eine schonungslose Bestandsaufnahme einer Gesellschaft, die sich selbst fremd geworden ist.
Gleichzeitig bleibt «Anniversary» aber bemerkenswert subtil. Die ruhige Kameraführung, die bewusst gesetzten Pausen und die minimalistische Inszenierung schaffen Momente, in denen Nähe, Entfremdung und unausgesprochene Vorwürfe fast greifbar werden. Der Film zeigt die feinen Risse in Beziehungen, bevor sie zu Brüchen werden und macht genau darin seine grösste Stärke sichtbar. Gerade im Zusammenspiel mit den politischen Spannungen entsteht eine emotionale Dichte, die viele lautere Produktionen dieses Jahres nicht erreichen.
Getragen wird das alles von grossartigen Darstellern: Diane Lane, Kyle Chandler und vor allem Phoebe Dynevor verleihen dem Film eine Glaubwürdigkeit, die seine Themen – Loyalität, moralisches Ringen, der Verlust von Gewissheiten – unmittelbar erfahrbar macht. «Anniversary» erzählt kein grosses Spektakel, sondern ein Drama, das sich langsam festsetzt und den Zuschauer zwingt, über Familie, Überzeugungen und Verantwortung nachzudenken. Diese Mischung aus leisen Zwischentönen, gesellschaftlicher Relevanz und filmischer Eleganz macht ihn für mich zum eindrucksvollsten Film des Jahres.
Wo: läuft zur Zeit im Kino
Spass, Unbehagen und Fremdscham sind nur ein Bruchteil der Emotionen, die mich durchdringten, als ich mir dieses A24 Meisterwerk von Andrew DeYoung reinzog. «Friendship» greift nämlich ein fast zu alltägliches Thema auf und eröffnet dabei die grossen Fragen: Wie schnell darf man sich gegenüber neuen Bekanntschaften öffnen? Wie verhält man sich, wenn sich die neue Freundschaft als absoluter Reinfall entpuppt? Und was, wenn man an etwas festhält, das man längst an die Wand gefahren hat?
Dabei dreht sich die Geschichte um Craig, gespielt vom Comedian Tim Robinson, einem schrägen und unbeholfenen Marketingleiter, der von seiner Frau in ein Treffen mit seinem neuen Nachbarn verwickelt wird. Nach anfänglicher Skepsis merkt er bald, dass der TV-Meteorologe Austin, der von Paul Rudd gespielt wird, frischen Wind in sein Leben bringt. Craig blüht auf – ich fiebere mit. Es scheint, als würde er zum ersten Mal eine wahre Freundschaft erleben. Aber dieses Hoch hält nicht lange an.
Je mehr sich der schräge Vogel öffnet, desto abschreckender wird er für seine neu gewonnenen Kumpels. Aber auch in mir zieht sich alles zusammen. Der Film nimmt einen düsteren Ton an – nicht nur weil ich ab diesem Zeitpunkt überhaupt kein Gefühl mehr dafür habe, in welche Richtung sich die Geschichte entwickelt, sondern auch, weil er Konflikte eröffnet, die jeder Mensch hautnah nachempfinden kann. Und das alles auf eine so irrwitzige Weise, dass ich mich während 101 Minuten ständig in einem Modus zwischen lautem Lachen, Zähneknirschen und Augenzuhalten befinde. Grandios.
Wo: Apple TV
Überraschend anders: Das Biotopic zur lebenden Legende Bruce Springsteen zeigt kein zweistündiges Gute-Laune-Konzert. Im Gegenteil: Springsteen hat zwischen der Veröffentlichung des Albums «The River» und dem Meisterwerk «Born in the USA» mit starken Depressionen gekämpft. Das Ergebnis: «Nebraska». Ein schweres Album. Düster. Tiefgründig. Voller Emotionen.
Der Film ist ein Spiegel dessen und zeigt die verletzliche, zerrissene Seite von Springsteen in jungen Jahren. Die Verkörperung des Rockstars durch Jeremy Allen White («The Bear») ist nicht nur Oscarverdächtig, der Schauspieler wurde sogar von Springsteen höchstpersönlich als Besetzung vorgeschlagen.
Wo: läuft zur Zeit im Kino
Regisseur Paul Thomas Anderson ist wieder in Bestform. Schon das 70er-Jahre Coming-Of-Age-Drama «Licorice Pizza» von 2021 habe ich geliebt. Jetzt inszeniert Anderson die Gegenwart.
Bob Ferguson, gespielt von Leonardo DiCaprio, war mal eine grosse Nummer bei der Untergrundorganisation French 75. Jetzt, 16 Jahre später, geniesst er den Ruhestand im Zeugenschutzprogramm und verbringt die Tage mit Kiffen. Plötzlich taucht der rechtsradikale Oberst Lockjaw (Sean Penn) auf, einst Bobs grösster Widersacher, und will Bobs Tochter Willa entführen. Bob versucht mit Hilfe des Karate-Senseis Sergio (Benicio del Toro) den Anschluss an sein Revoluzzer-Leben zu finden und seine Tochter zu retten.
Der Film wirkt, als hätte jemand die Skripts von «Star Wars» und «The Big Lebowski» im Aktenvernichter gefunden und aus den Schnipseln einen Film, der im Jahr 2025 spielt, gebaut. Dude Skywalker, Obi-san Kenobi und Colonel Vader. Das ist nihilistisch, paranoid und das vermeintlich Gute und das Böse sind irgendwann auch gar nicht mehr so wichtig. Bob hat seinen Dienst an der Revolution getan, geändert hat sich freilich nichts. Als würde Luke Skywalker in Rente gehen, sobald der Todesstern gesprengt ist und dann den Kontakt zur Rebellion abbrechen. Aber Rob und die Rebellen sprechen nicht mehr die gleiche Sprache, er vergisst den Geheimcode, rastet aus. Zum Glück fingiert Sensei Sergio als eine Art Obi-Wan und vermittelt zwischen den Generationen, um dem hinkenden Lockjaw das Handwerk zu legen.
Grossartige Bilder, grossartige Story und die spannendste Verfolgungsjagd seit langem, die erst noch ohne Kurve auskommt. Unbedingt im Kino schauen!
Wo: Kino / VoD
Mitten in der Nacht, genau um 2:17 Uhr, erwachen alle Kinder einer Klasse der Maybrook-Grundschule und verlassen wie ferngesteuert ihre Häuser. Eine rätselhafte Kraft scheint sie anzutreiben, doch niemand weiss, wohin sie unterwegs sind. Spurlos verschwunden bleiben sie alle – bis auf einen: Alex ist das einzige Kind, das zurückbleibt. Von Angst erfüllt richten die verzweifelten Eltern ihren Verdacht auf die Lehrerin Justine Gandy, der sie finstere Absichten unterstellen.
«Weapons» ist ein zweischneidiges Schwert (pun intended). Anfangs fesselt der Film: Die Atmosphäre ist beklemmend, spannend und bietet viele Perspektiven – die Lehrerin, die Eltern, ein Polizist, ein entfremdeter Ex. All das führt Schritt für Schritt in ein undurchsichtiges Netz aus Angst, Paranoia und Hoffnungslosigkeit.
Die Schauspieler liefern starke, glaubwürdige Leistungen: Gerade die Dynamik zwischen der verstörten Lehrerin, den verzweifelten Eltern und dem verunsicherten Einzelkind erzeugt echte Gefühle. Ich habe öfter Herzklopfen bekommen. Und auch Gänsehaut. Die Mischung aus Horror, Mystery und düsterem Familiendrama ist fesselnd und bedrückend. Deutlich besser als irgendwelche Splattereffekte.
Doch leider hat’s auch seine Schattenseiten: Zwar lässt man dem Plot viel, viel Zeit für den Aufbau, das steigert die Spannung. Allerdings werden viele Geschehnisse zunächst zwar bedeutungsschwer inszeniert, entpuppen sich dann aber als reine Stimmungselemente. Das an sich wäre nicht schlimm, wenn der Film nicht ständig suggerieren würde, dass das Ganze auf etwas Grösseres hinauslaufen wird – was er am Schluss einfach nicht tut.
Aber ehrlich: Scheiss drauf. Manchmal brauchts gar nicht so viel Bedeutung, Tiefgang, krasse Plottwists und furiose Showdowns, sondern einfach zwei Stunden starke Unterhaltung, Spannung, Grusel und ein locker luftiges Low-Brainer-Finale.
Wo: Prime Video
Auch in unserem digitec-Podcast «Tech-Telmechtel» haben wir ausgiebig über unsere Lieblingsserien und -Filme diskutiert:
Wer hat den besten Film-Geschmack?
Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.
Hier liest du eine subjektive Meinung der Redaktion. Sie entspricht nicht zwingend der Haltung des Unternehmens.
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