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Hintergrund

Wenn Liebe lange währt, wird's doch irgendwann langweilig – oder?

Ab wann steckt man eigentlich in einer Langzeitbeziehung – nach drei, fünf oder zehn Jahren? Und war's das dann ein für allemal mit dem Prickeln? Eine Expertin klärt auf.

Zu Beginn ist alles rosarot. Die Hormone schlagen Purzelbäume und dein Herz rast fast so schnell wie der Nachbarsjunge, der sein neu-frisiertes Töffli um den Block fährt.

Schön, dieses Verliebtsein.

Aber was geschieht, wenn den Schmetterlingen im Bauch allmählich die Puste ausgeht? Wenn Auf- und Erregung langsam dem routinierten Alltag weichen? Ich spreche mit der Psychotherapeutin und klinischen Sexologin Dania Schiftan darüber, was eine Langzeitpartnerschaft auszeichnet und ob es möglich ist, sich die Funken der Anfangseuphorie zu erhalten.

Dania, was definiert eine Langzeitbeziehung?
Dania Schiftan, klinische Sexologin und Psychotherapeutin: Eine Langzeitpartnerschaft qualifiziert sich nicht nur durch ein «wir sind lange zusammen» als solche, sondern vielmehr durch ein «wir haben gemeinsam gelernt, mit Veränderungen umzugehen, füreinander da zu sein – und auch bei Gegenwind verbunden zu bleiben».

Das heisst, ob eine Beziehung drei, fünf oder zehn Jahre auf dem Buckel hat, ist in diesem Kontext gar nicht so entscheidend?
In der Wissenschaft werden häufig drei bis fünf Jahre als Schwelle zur Langzeitbeziehung genannt. Ich würde jedoch sagen: Eine Langzeitbeziehung beginnt dann, wenn ein Paar bereits Krisen gemeinsam bewältigt, sich weiterentwickelt und ein Gefühl von Stabilität und emotionaler Tiefe aufgebaut hat.

Klingt, als ob Beziehungen unterschiedliche Phasen durchlaufen?
Das ist tatsächlich so. In Partnerschaften lassen sich klar unterschiedliche Phasen erkennen – sowohl im Rahmen meiner psychotherapeutischen Arbeit mit Paaren, aber auch aus wissenschaftlicher Sicht.

Wie sehen diese Phasen aus?
Zu Beginn steht die Verliebtheitsphase: intensiv, hormonell gesteuert, geprägt von Idealisierung und der berühmten rosaroten Brille. Sie dauert in der Regel zwischen sechs Monaten und zwei Jahren, je nach individueller Dynamik. Dann folgt die Phase der Konsolidierung. Die Realität holt das Paar ein: Unterschiede werden sichtbarer, der Alltag hält Einzug, und es geht zunehmend darum, wie das Paar mit Konflikten, Erwartungen und individuellen Bedürfnissen umgeht. Diese Zeit ist entscheidend – hier zeigt sich, ob aus dem anfänglichen «Wir-Gefühl» eine tragfähige Beziehung entsteht. Paare, die diese Phase gemeinsam durchstehen, entwickeln eine tiefere Bindung, gemeinsame Werte und Routinen. Und dann ist da die sogenannte Reifungsphase.

Ist das die Phase, die den Beginn der Langzeitpartnerschaft markiert?
Genau! Die beginnt für mich dann, wenn ein Paar nicht mehr nur von starken Gefühlen getragen wird, sondern sich aktiv und wiederholt füreinander entscheidet – auch in schwierigen Momenten. Dann, wenn die Beziehung nicht nur leicht ist und bewusst gestaltet wird.

Weshalb empfinden wir unsere Beziehungen in der Dating-Phase als so viel aufregender?
Aufregung und Erregung liegen eng beieinander. In der Anfangsphase einer Beziehung passiert neurologisch wie emotional sehr viel. Wir sind aufgewühlt, voller Hormone, voller Neugier, voller Lust.

Klingt doch fantastisch. Weshalb verlieren wir diese Aufregung früher oder später?
Weil sie unser Gehirn in einen Stresszustand versetzt, der uns viel Energie kostet. Er macht uns weniger fokussiert, beeinträchtigt unser Urteilsvermögen und schränkt unsere Kapazitäten für anderes deutlich ein – etwa für Freundschaften, die Arbeit oder die Alltagsorganisation. Irgendwann will unser Gehirn aus dem Ausnahmezustand in eine Ruhe kommen. Es sucht Sicherheit, Beständigkeit, Vorhersehbarkeit.

Welche Auswirkungen hat dieses «Zur Ruhe kommen» auf die Paarsexualität?
In der Anfangsphase wird die Sexualität stark von äusseren Faktoren beeinflusst: die Spannung, das Unbekannte, das Herzklopfen, die Projektionen. Letzteres beschreibt den Umstand, dass eigene Wünsche, Vorstellungen, Ideale aber auch Ängste und Unsicherheiten auf die jeweils andere Person übertragen werden. Dieses Zusammenspiel wirkt für viele wie ein Lust-Katalysator. Es entsteht ein «Echo» zwischen Gehirn, Herz und Genitalien, das als extrem intensiv empfunden wird. Gleichzeitig erleben andere – zum Beispiel Männer – in dieser frühen Phase Leistungsdruck, Versagensängste oder emotionale Überforderung, die sogar zu Erektionsproblemen führen können.

Frisch verliebt zu sein, ist also nicht nur schön?
Für den Körper ist es auch anstrengend. Mit der Zeit schleicht sich deshalb die menschliche Tendenz zur Effizienz ein.

Effizienz?
In der Anfangszeit wollen wir alles erkunden, ausprobieren, spüren. Später wird vieles verkürzt und auf «sichere Nummern» reduziert. Das, was gut funktioniert, wird bevorzugt – Berührungen, Stellungen, Abläufe. Dabei geht oft genau das verloren, was am Anfang so reizvoll war: Die Entdeckungslust, das verspielte «Beigemüse», das wesentlich zur Erregung beiträgt. Ein weiterer Aspekt, der die Leidenschaft dimmt, ist der sogenannte «kleinste gemeinsame Nenner».

Was stellt der mit uns an?
In langjährigen Beziehungen neigen wir dazu, alles auszuklammern, was dem Gegenüber vielleicht nicht gefällt. Reaktionen wie ein Zucken, eine abwehrende Bemerkung oder ein irritierter Blick führen dazu, dass wir bestimmte Handlungen schnell aus dem Repertoire verschwinden lassen – obwohl sie uns vielleicht selbst gefallen würden. So wird das sexuelle Miteinander immer reduzierter und vorhersehbarer. Beim Übergang vom hormonellen Rausch hin zur Stabilität zeigt sich, wie tragfähig unsere Sexualität tatsächlich ist.

Schliesst eine langjährige Partnerschaft Aufregung denn kategorisch aus?
Eine spannende Frage. Aufregung wird oft mit Neuem und Unbekanntem verbunden. Beides ist in einer langjährigen Beziehung weniger präsent. Manche Paare bringen Konflikte oder Unsicherheiten in ihre Beziehung, etwa durch Streit oder Fremdgehen, um Spannung zu erzeugen. Diese Art der Aufregung ist jedoch meist destruktiv.

Wie lässt sich Aufregung konstruktiv und auf gesunde Weise einbringen?
Zum Beispiel durch neue gemeinsame Erlebnisse oder Phasen der Distanz durch getrennte Urlaube. Es lohnt sich auch, gewohnte Dynamiken zu hinterfragen und Alltagsroutinen zu durchbrechen. Das kann zum Beispiel mittels kleiner, unerwarteter Handlungen oder Gesten geschehen. Diese gezielten Veränderungen aktivieren unser Nervensystem, was wiederum eine neue sexuelle Spannung aufbaut. Wenn Paare es schaffen, gewohnte Muster zu durchbrechen, wird die Verbindung zueinander wieder lebendiger. Man erlebt sich wieder neu und die Beziehung bleibt dynamisch und spannend, ohne auf negative Stressfaktoren angewiesen zu sein.

Würdest du sagen, dass das der Schlüssel zu einer erfolgreichen, langjährigen Partnerschaft ist?
Es ist auf jeden Fall ein wichtiger Aspekt, der es den Paaren erlaubt, eine neue Art von Aufregung zu entwickeln, während Vertrauen und Intimität weiterhin wachsen. Die wahre Kunst liegt darin, auch ohne die anfängliche Verliebtheitsaufregung eine tiefere Erregung zu empfinden. Eine, die nicht vom sprunghaften Entdecken von Neuem genährt wird, sondern vom aufregenden Gefühl, sich aufeinander einzulassen und gemeinsam zu wachsen.

Alle weiteren Beiträge aus der Serie findest du hier:

  • Ratgeber

    Alles rund um die Sexualität

    von Natalie Hemengül

Titelbild: Anton Pentegov via Shutterstock

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Als Disney-Fan trage ich nonstop die rosarote Brille, verehre Serien aus den 90ern und zähle Meerjungfrauen zu meiner Religion. Wenn ich mal nicht gerade im Glitzerregen tanze, findet man mich auf Pyjama-Partys oder an meinem Schminktisch. PS: Mit Speck fängt man nicht nur Mäuse, sondern auch mich. 

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